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Persönliche Erinnerungen...


Badespaß im alten Flussbad

An einem herrlichen Sommermorgen im August 1958, ich war gerade mal neun Jahre alt, packte ich meine Badesachen samt Schwimmreifen ein, denn ich zählte noch zu den Nichtschwimmern. Ich setzte mich auf mein Zweirad, fuhr von der Fürther Südstadt durch die Dambacher Straße über den Bahnübergang und bog dann in die Badstraße ein. Durch die Badstraße, an dem von einem Bretterzaun abgeschirmten Flussbad vorbei, radelte ich in die Erlenstraße, wo meine Oma im dritten Stock fast direkt an der Rednitz wohnte. Aus ihrem Wohnzimmerfenster konnte man über den Fluss hinüber zum Waldmanns-Weiher blicken.

Es fiel mir nicht schwer, meine Oma an diesem heißen Tag zu überreden, mit mir ins Flussbad zu gehen. Gleich nach dem Mittagessen wurden Buttersemmeln nebst einer Thermoskanne Tee eingepackt, denn meine Oma war der Meinung, wer viel badet, muss gut essen. So gut gerüstet machten wir uns auf den Weg.

Nach kurzem Fußmarsch erreichten wir das Flussbad. Es war in zwei Bereiche unterteilt. Flussaufwärts war das Zahlbad, das Eintritt kostete und mit einem Zaun gegenüber dem »Freibad« flussabwärts abgegrenzt war. Das Zahlbad war etwas für die »Besseren«. Nicht nur, dass Zahlbadgäste im unverbrauchten Wasser baden durften, sie konnten auch in den Bretterbuden Kabinen mieten, sich Liegestühle ausleihen und eine Dusche benutzen. Auf diesen Komfort musste man im »Freibad« verzichten. Sonst war dort aber alles vorhanden, was man sich für das Badevergnügen wünschte: Ein mit einem Holzgeländer abgeteilter Bereich im seichten Flusswasser für die Nichtschwimmer, eine relativ überschaubare Liegewiese, umgeben von einem aus Brettern und Holzbänken bestehenden überdachten Sitzbereich, ein Kiosk, an dem man sich für zehn Pfennige Brausepulver kaufen konnte und einem Steg, der über die Rednitz hinüber zum Waldmanns-Weiher führte, wo man entlang des Flussufers unter alten, schattenspendenden Bäumen jede Menge Platz hatte, um sich auszubreiten.

Meine Oma zog es vor, auf den überdachten Holzbänken im Schatten Platz zu nehmen. Sie hatte die Siebzig schon weit überschritten und es wäre für sie undenkbar gewesen, sich in ihrem Alter noch im Badeanzug zu zeigen. Dafür trug sie in der Hitze eine duttige Kleiderschürze. Von ihrem Platz aus hatte sie das Treiben in der Badeanstalt und mich gut im Blick. Außerdem fand sich immer eine Nachbarin ein, mit der sie angeregt plaudern konnte. Ich hatte für so viel Beschaulichkeit weder Verständnis noch Zeit, sondern schnappte mir meinen Schwimmreifen, um mich in die Fluten zu stürzen und im Reifen flussabwärts treiben zu lassen. Am Steg angelangt, kletterte ich über eine Leiter aus dem Wasser, lief flussaufwärts, um das Spiel von neuem zu beginnen. Doch plötzlich sollte mir der Badespaß gründlich verdorben werden. Was war das? Mein Schwimmreifen begann zu schrumpfen und hing nur noch schlaff um meinen Bauch. Aufgeregt rannte ich zu meiner Oma. »Das werden wir gleich haben«, beruhigte sie mich und blies kräftig in den Reifen. Doch der Reifen wollte die Luft einfach nicht behalten. Was nun? Ohne Reifen konnte ich nicht schwimmen. Oder doch? Dann musste ich es eben ohne Schwimmreifen probieren. Zaghaft legte ich mich aufs Wasser und versuchte mutig einige Sekunden die Füße vom Boden zu nehmen. Tatsächlich! Nach einigen Versuchen merkte ich, dass das Wasser mich trug. Ich musste mich nur flach darauf legen und die Arme wie bisher bewegen. So ließ ich mich bis zum Steg treiben. Das musste ich sofort meiner Oma erzählen. Freudestrahlend rannte ich zu ihr und rief: »Oma, Oma, ich kann schwimmen! Komm mit, ich zeig es dir!« Oma war hocherfreut über meine Schwimmkünste und lobte mich gebührend.

Inzwischen war es spät geworden und es war mir klar, dass ich den Zorn meines Vaters zu spüren bekam, wenn ich nicht pünktlich zum Abendessen zu Hause erschien. Trotzdem hatte Oma ihre liebe Mühe, mich aus dem Wasser zu holen. »Kind, dein Vater schimpft, wenn du zu spät heimkommst«, mahnte sie mich immer wieder. »Nur noch einmal«, vertröstete ich sie und war schon wieder auf und davon.

Oma sollte Recht behalten. Als ich an diesem Abend nach Hause kam, erwartete mich ein gewaltiges Donnerwetter meines Vaters. Dass ich jetzt endlich schwimmen konnte, interessierte ihn erst viel später, wobei er lakonisch bemerkte: »Du willst jetzt schwimmen können? Das glaub ich erst, wenn ich's seh.«

Fürth, im Oktober 2004

Dagmar Graefe

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